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So profitiert Stormarn von der EU

Die Europäische Union verteilt Millionen von Fördermitteln auch an den Kreis Stormarn. Das ist aber nicht alles. Europa bestimmt längst unseren Alltag.

Gregor Tuscher mit Ordnern zur Europawahl. Im Büro des Europa-Beauftragten des Kreises Stormarn hängt neben der Europa- eine Stormarn-Karte. Quelle: mc

Sogar Collegestudenten aus Hamburg probierten das neue Street-Workout in Bad Oldesloe aus. Quelle: dvd

Vor Jahren hieß es noch, die EU sei weit weg. „Wat geiht mi dat an?“ hörte man vor Ort in Stormarn allenthalben, dementsprechend niedrig war die Beteiligung an den Europawahlen. Das scheint diesmal anders zu sein. Vielen Leuten ist bewusst geworden, dass dort weitreichende Entscheidungen getroffen werden. Das Verbot von Einweg-Plastik ab 2021 sei da nur beispielhaft genannt. Die Europäische Union ist längst im Alltag der Deutschen und damit auch der Stormarner abgekommen.

Im Europabüro des Kreises

„Geht man nach der Briefwahl, zeichnet sich tatsächlich eine höhere Wahlbeteiligung ab“, sagt Gregor Tuscher. Er ist der Europa-Beauftragte des Kreises, der wiederum diesen Posten schon vor etlichen Jahren geschaffen hat, um in der Bevölkerung das Bewusstsein für Europa zu schärfen. Damals haben sich noch viele Organisationen und Initiativen gemeldet, um nach europäischen Fördermöglichkeiten zu fragen. „Mittlerweile kennen sich die Antragsteller so gut aus, dass das weniger geworden ist.“

 

Tuscher selbst recherchiert viel, was auf europäischer Ebene ansteht, welche Gesetzesänderungen es gibt und welche Auswirkungen das konkret auf Stormarn haben kann. „Allerdings sind auch die einzelnen Fachdienste gut aufgestellt, zum Beispiel die Lebensmittel- oder Veterinärabteilungen.“ Kühlketten oder Tiertransporte sind da nur zwei Stichworte, für die die EU Regelungen erlässt.

Gurken und Telefongebühren

Was bei den Menschen laut Tuscher hängen bleibt, ist die EU-Verordnung zum Krümmungsgrad von Gurken. „Die ist aber längst abgeschafft.“ Weitere unsinnige Richtlinien sollen folgen. Auf der anderen Seite werde kaum wahrgenommen, was die EU Positives für den Menschen tut; die Abschaffung von Roaming-Gebühren im Ausland zum Beispiel. Tuscher selbst hat es erlebt, wie sein Telefonanbieter es als sein besonderes Angebot verkaufen wollte.

Stormarns Europa-Beauftragter hat selbst mal vor Ort in Brüssel hospitiert und live erlebt, wie Lobbyarbeit funktioniert. „Bayern etwa hat 40 Mitarbeiter in seiner Landesvertretung, die erheblich mehr Fördergelder generieren als das Hanse-Office von Schleswig-Holstein und Hamburg.“ Für Stormarn gelte allerdings auch, dass der Kreis aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke aus vielen Fördertöpfen herausfällt.

Nicht so allerdings zum Beispiel für ein Flächenrecycling eines belasteten Grundstücks in der Bunsenstraße in Trittau. Dort erhielt der Kreis aus dem Landesprogramm Wirtschaft knapp 500.000 Euro. Einen dicken Batzen bekam auch Ahrensburg. Mit Hilfe von EU-Geldern wurde der Moorwanderweg im Naturerbe Tunneltal in Ahrensburg erneuert. 450 000 Euro zahlte die Staatengemeinschaft dazu.

Drei Millionen Euro für jede Aktivregion

Der Kreis entsendet auch Vertreter in die sogenannten Aktivregionen, von denen es in Stormarn mit Holsteins Herz, Alsterland und Sieker Land Sachsenwald drei gibt. In dieser Förderperiode sind jeweils rund drei Millionen Euro an die Aktivregionen geflossen, um unterschiedliche Projekte zu fördern. „Da merken dann die Bürger konkret, dass die EU eine gute Sache ist“, sagt Gregor Tuscher. Holsteins Herz erhielt von der EU für sechs Jahre 2,86 Millionen Euro und hat mit diesen Geldern bereits 19 Projekte in Angriff genommen, sechs Projekte sind von der lokalen Aktionsgruppe beschlossen und weitere in Planung.

Besonders profitierte dabei in den vergangenen Jahren die Stadt Bad Oldesloe. So bekam das Projekt „Erleben leben im Lernort Natur“ des Vereins Erle eine Fördersumme von 94.157 Euro für den Ausbau und die Weiterentwicklung des Abenteuerspielplatzes Erle mit Kindern unter Anleitung pädagogischer Fachkräfte. Allerdings ist die weitere Finanzierung offen, da die Förderperiode ausläuft.

Viel Geld für Bad Oldesloe

Auch das im Bau befindliche Hospiz in Bad Oldesloe erhielt Fördermittel in Höhe von 100.000 Euro als Anschubfinanzierung für eine Pflegedienstleitung sowie deren Vertretung für die ersten 18 Monate. (https://lebensweg-stormarn.de/). Die Erweiterung des Skatelands sowie die Errichtung des Street-Workouts im Bürgerpark (100.000 Euro) wäre ohne EU-Mittel auch nicht möglich gewesen. In den Jahren zuvor profitierte zudem auch der Nachbarschaftstreff Schanze (84.000 Euro). In der vorherigen Förderperiode gab es zudem Geld für die Restaurierung der Deckenmalereien von Wenzel Hablik in der Theodor-Storm-Schule.

In anderen Orten Stormarns wurden zum Beispiel gefördert der Spielplatz „Bei den drei Eichen“ in Lütjensee (23.000 Euro), der Schulhof des Gymnasiums Trittau (88.000 Euro), der Festplatz Ziegenweise in Lütjensee (100.000 Euro), der Ehrenfriedhof in Klein Wesenberg (41.000), das Jugendcamp Lütjensee für 130 Kinder (rund 570.000 Euro) und ganz neu der Ortsentwicklungsplan für die Gemeinde Steinburg (15.500 Euro).

Zu den Projekten im Kreis Stormarn zählt beispielsweise der Busbegleitservice zwischen den Städten Ahrensburg und Bad Oldesloe, bei der die persönliche Begleitung und Hilfestellung für Ältere und Menschen mit einem Handicap sichergestellt wurde.

Mehrere EU-Fonds

Egal ob Efre, Leader, Eler oder andere merkwürdige Abkürzungen: Es gibt mittlerweile so viele Förderfonds, dass sogar das Kieler Wirtschaftsministerium den Überblick verloren hat. Aktuell sind zum Beispiel allein aus dem Europäischen Sozialfonds (ESF) für den Kreis Stormarn 2,37 Millionen Euro ausgezahlt worden.

Dutzende Unternehmen profitierten zudem in den vergangenen Jahren vom EU-Regionalfonds. Häufig geht es dabei um Erweiterungen oder Umzüge. Die Schacht Papierverarbeitung in Ahrensburg bekam 143.000 Euro von der EU. Sechsstellige Beträge flossen beispielsweise an die Interspare GmbH in Reinbek, die Arctos Industriekälte AG in Braak, Tedi Technische Dienste in Oststeinbek, Lucullus Food Service in Trittau oder die Jürgen Liebisch GmbH in Glinde. 4,8 Millionen gingen insgesamt an Unternehmen in Stormarn.

Agrarsubventionen für Stormarns Bauern

Nicht zuletzt fließen viele landwirtschaftliche Subventionen nach Stormarn. Einige Bauern erhalten pro Jahr eine Unterstützung in sechsstelliger Höhe, die meisten liegen im niedrigen bis mittleren fünfstelligen Bereich. In vielen Betrieben machen die Subventionen rund 40 Prozent des Einkommens aus. Insgesamt bekommt ein Betrieb in Deutschland durchschnittlich 280 Euro pro Hektar. Dabei profitieren besonders die Landwirte, die große und viele Flächen besitzen. Ein wesentlicher Teil der Zahlungen wird pauschal pro Hektar vergeben, als sogenannte Basisprämie.

Auf der anderen Seite greift die EU direkt in den landwirtschaftlichen Alltag ein, unter anderem mit der gerade verschärften Düngemittelverordnung. Diese soll die Nitratwerte in den Gewässern senken, sorgt jedoch für einen erheblichen bürokratischen und logistischen Aufwand bei den Bauern.

Schutz für die Natur

Apropos Natur: Mit Natura 2000, dem EU-weiten Netzwerk aus Naturschutzgebieten, verfolgt die EU das Ziel, gefährdete Tier- und Pflanzenarten sowie deren Lebensräume zu schützen. Im Kreis Stormarn liegen vier Vogelschutzgebiete und 19 sogenannte Flora-Fauna-Habitat-Gebiete, die zu diesem Netzwerk gehören. Sie sind zugleich auch Naherholungsgebiete.

Aufruf zur Europawahl

Am 26. Mai findet die Europawahl statt. 63,6 Millionen Bürger sind in Deutschland wahlberechtigt und wählen 96 Europaabgeordnete ins Europäische Parlament. „Verzichten Sie nicht auf ihr Stimmrecht für ein solidarisches, soziales, friedliches und demokratisches Europa“, sagt Andreas Guhr, Vorsitzender des Sozialverbandes in Bad Oldesloe.

„Die Wahl findet in bewegten Zeiten statt. Globale Kräfteverhältnisse haben sich verändert. Antieuropäische Kräfte sind in vielen EU-Ländern sehr erfolgreich. Bewährte Bündnisse lösen sich auf. Der bevorstehende Austritt Großbritanniens aus der Gemeinschaft sowie die Folgen der Finanzkrise und Flüchtlingswelle stellen die Europäische Union vor eine Bewährungsprobe. In vielen Mitgliedsstaaten und bei uns entsteht ein neuer Nationalismus, der letztlich die Europäische Union zerstören könnte“, warnt Guhr

Seit 1917 kämpft der Sozialverband für einen demokratischen und sozialen Rechtsstaat. Guhr: „Aus der schmerzlichen Erfahrung der Unterdrückung unseres Verbandes während der Nazi-Diktatur wissen wir, dass Frieden, Demokratie und soziale Gerechtigkeit zusammengehören. Dies erstreben wir auch für ein geeintes Europa. Wir sind der festen Überzeugung, dass es nur durch einen starken Zusammenhalt der EU-Länder gelingen kann, die aktuellen und künftigen Herausforderungen zu bewältigen.“

Andres Guhr führt in diesem Zusammenhang das Zitat eines syrischen Flüchtlings an: „Ich freue mich, wenn ich irgendwann das Wahlrecht habe. Viele finden das normal, aber es ist eine große Verantwortung. Denn jeder, der wählen geht, verteidigt die Demokratie.“

Vielleicht bedürfe es, so Andreas Guhr, dieser Worte eines Neuankömmlings, „damit wir begreifen, dass Europa unsere Heimat ist. Europa garantiert uns seit 70 Jahren Frieden und Wohlstand“. Dieses Europa sei nicht fertig, nicht fehlerfrei. Es gebe genügend berechtigte Kritikpunkte. Nichtsdestotrotz sei es unser Europa mit der Reisefreiheit, mit dem Leben in Frieden und der Freiheit der Gestaltung des eigenen Lebens ohne Angst vor Repressalien. „Wir können dieses Europa menschlicher und sozialer gestalten. Lassen Sie uns alle gemeinsam am 26. Mai zur Wahl gehen und die Demokratie verteidigen,“ so Guhr.

„Seit mehr als 70 Jahren herrscht Frieden in Europa. Dies ist keine Selbstverständlichkeit“, betont auch Walter Albrecht vom Oldesloer Bündnis gegen Rechts. Damit das auch so bleibt, bittet das Bündnis gegen Rechts alle wahlberechtigten Bürgerinnen und Bürger nicht nur in Bad Oldesloe, von ihrem Wahlrecht Gebrauch zu machen. Albrecht: „Votieren sie für Parteien, die sich klar und eindeutig gegen Rassismus, Fremdenfeindlichkeit oder Antisemitismus und für soziale Gerechtigkeit engagieren. Nationalisten, auch wenn sie sich als Rechtspopulisten tarnen, dürfen weder in Bad Oldesloe noch in Deutschland oder Europa die Meinungshoheit gewinnen.“

Das Bündnis gegen Rechts erinnert in diesem Zusammenhang an den an den 24. April 1945, als im Oldesloer Bombenhagel 700 Menschen starben. „Wir sind,“ so Walter Albrecht, „zwar nicht für das verantwortlich was war, aber wir sind für das verantwortlich was wird.“ Deshalb hofft der Kämpfer für soziale Gerechtigkeit, dass Bad Oldesloe mit einer hohen Wahlbeteiligung positiv auffällt. „Lassen Sie uns am Tag der Europawahl erneut deutlich machen, dass Bad Oldesloe bunt, tolerant und weltoffen ist.“

Markus Carstens

Quelle: Lübecker Nachrichten, den 20.05.19